Die Aufgaben des Corps

Die Aufgaben des Corps

Die Corps sind schon von ihren Anfängen an eines gewesen: Lebens- und Erziehungsgemeinschaften, die ihre jungen Angehörigen in Freundschaft verbinden und zu Menschen anständiger Gesinnung und Haltung ausbilden wollten. Die ältesten erhaltenen Konstitutionen erweisen das in ausdrücklichen Worten, und Mittel auf diesem Wege waren schon damals der CC (Corpsconvent) und die Mensur.

Der selbst gegebene Erziehungsauftrag geht aber weiter als nur auf das Persönliche der zu Erziehenden. Er stellt im Unterschied zu einem Klub oder sonst einer losen gesellschaftlichen Vereinigung als zweiten nicht minder wichtigen Grundsatz neben die Gestaltung der Persönlichkeit den Dienst an der selbst gewählten Gemeinschaft, die Zurückstellung der eigenen Interessen und Wünsche hinter diesen Dienst in bestimmtem Umfange (aber ohne Schädigung des Studiums), die Erziehung zu Pflichtgefühl und freiwilliger Übernahme von Pflichten, wie sie jungen, eben der Schule entwachsenen Menschen und ihrem geistigen Reifestand gemäß sind. Band und Mütze sind dabei nicht Selbstzweck, ganz und gar nicht etwa Zeugen äußeren Glanzes oder persönlicher Eitelkeit, sondern Symbole dieses Dienstes, die rein und ungefährdet erhalten werden sollen durch die Art, wie sich ihre Träger führen und betätigen. So ergänzt dieser zweite Grundsatz des Erziehungsauftrages den ersten nicht nur, er bildet vielmehr einen wesentlichen, vielleicht überhaupt den wesentlichsten Bestandteil des ersten, der Erziehung zur Persönlichkeit. Und er wird darüber hinaus von allgemeiner, weit über das innere Leben eines Corps zielender und reichender Bedeutung. So wie man im aktiven Corps dient, sich gegenseitig verträgt und erträgt, wie man im CC verhandelt und beschließt, die Beschlüsse anerkennt und vollzieht, besonders auch dann, wenn man selbst anderer Meinung war und ist, so hat man sich im späteren Leben, im Beruf und in öffentlicher Tätigkeit zu verhalten. Es sind die Grundwahrheiten alles menschlichen, beruflichen und öffentlichen Lebens, zu denen im Corps natürlich in einer der Jugend der Mitglieder entsprechenden einfachen Form erzogen werden soll.

Der Dienst am Corps soll sich mit steigendem Alter, wachsenden Kenntnissen und Erfahrungen zum Dienst an Staat, Volk und Vaterland auswirken. Dass dies, bei allen Fehlern und Schwächen, die jeder menschlichen Einrichtung nun einmal anhaften, in einer engen Gemeinschaft mit Zucht und Ordnung viel eher erreicht werden kann, als wenn der Student für sich allein oder auch nur in einem losen Kreis von Freunden lediglich seinem Studium und seinen persönlichen Neigungen lebt, liegt auf der Hand. Nur wer böswillig ist, kann dies verkennen, und die Vielfalt des studentischen Verbindungswesens hindert, dass aus seinen Gemeinschaften Schablonen werden. Sie ermöglicht zugleich, dass auch jeder, wenn er will und sich eignet, die Gemeinschaft finden kann, die ihm liegt. Die Corps können stolz darauf sein, dass sie vor 200 Jahren die ersten waren, die solche Gemeinschaften geschaffen haben.

Mit den eben gebrauchten Worten Zucht und Ordnung ist ein weiterer Erziehungsfaktor angeschnitten. Er ist eigentlich für jede Vereinigung von Menschen eine selbstverständliche Sache, für ein Corps aber muss er es sein. Aber das bedeutet nicht, dass die Erziehung nun Normalfiguren schaffen soll. Im Gegenteil, jede Individualität ist willkommen und soll auf die Gemeinschaft einwirken. Je mehr Köpfe ein CC enthält, desto regeres Leben wird in ihm bestehen. Über allem muss aber das allgemeine Ziel stehen. Die erlebten und in weit über 150 Jahren erprobten allgemeinen Grundsätze, wie sie hier dargelegt sind, müssen bleiben, eben in der Form des Dienstes am Ganzen und in der Verbundenheit aller seiner Glieder.

In gleicher Weise sind ehrenhafte und anständige Gesinnung des einzelnen selbstverständlich und müssen in seiner Haltung wie in der des Corps nach innen und außen zum Ausdruck kommen. Ehrenhaftigkeit nicht im Sinne einer Abschließung von Ständen gegeneinander, wie sie in vergangenen Zeiten gegolten haben mag, sondern in einem Sinn, der allen Angehörigen eines Volkes, gleich welchen Berufes oder Standes, gemeinsam sein kann und, wie das die Kameradschaft zweier Weltkriege gezeigt hat, auch weithin gemeinsam ist. Auf diesem Gebiet erwächst den Corps und allen Verbindungen sogar eine Aufgabe allgemein-studentischer Art.

In den Rahmen einer solchen Gesinnung und Haltung gehören vor allem auch die Pflicht und die Erziehung zur Wahrhaftigkeit, d. h. die Aufrichtigkeit vor sich selbst, vor der im CC verkörperten Gemeinschaft und endlich vor Dritten. Diese letztere namentlich dann, wenn sie unangenehm oder gefährlich ist. Dies ist der Sinn der in den Konstitutionen festgelegten Selbstanzeige vor dem CC. Gelegenheit, solche Aufrichtigkeit zu üben, haben die jüngst vergangenen Zeiten zur Genüge gegeben und die heutigen geben sie dem Corpsstudenten nicht weniger. Das ganze Lehen im Corps soll dazu anhalten, und was der Werdende im Corps gelernt hat, soll den Mann durch sein Lehen begleiten. Wer alt geworden ist, weiß, wie viel Bewährungsproben er zu bestehen hatte und ob er sie bestanden hat. Wie der Offizier sich bei solchen Anlässen an sein Portepee zu erinnern hatte, so soll der Corpsstudent seines Bandes gedenken und den rechten Weg finden und gehen.

Das Leben eines Corps vollzieht sich bei den gemeinsamen Veranstaltungen, mögen sie je zu ihrer Zeit ernste oder fröhliche sein, in bestimmten Formen. Das ist in jeder echten Gemeinschaft der Fall. Diese Formen sind aus der Erfahrung langer Jahrzehnte gewachsen. Sie mögen sich mit dem Wechsel der umgebenden Verhältnisse wandeln, im Grundsätzlichen bleiben sie sich gleich und müssen das tun. Geht man der äußeren Form auf ihren Sinn und ihre Aufgabe nach, so lernt man sie nicht nur üben, sondern auch verstehen und würdigen. So kommt zur Gesinnung die Haltung, die recht verstanden und verwendet keineswegs etwas Äußerliches ist, sondern Ausdruck der innerlichen Gesinnung und Haltung eines Menschen. Sie ist nicht nur etwas, das dem Jungen wie dem Fertigen wohl ansteht, sondern sie ist etwas allgemein menschliches, unter dem Herz und Verstand und Gemüt nicht zu verkümmern brauchen, sich vielmehr in angemessener Form erst recht entfalten können. Ebenso das Verständnis für Menschen anderer Anschauungen und Wesensart.

Die Toleranz, d. h. die Duldsamkeit gegenüber der Überzeugung Anderer, wenn diese nur ehrlich und aufrichtig ist, gehört zu den ältesten Grundsätzen der Corps, nicht nur auf politischem und weltanschaulichem Gebiet, sondern in allen Lebensverhältnissen. Auf diese Duldsamkeit hinzuwirken, wie sie wiederum schon die ältesten Corpskonstitutionen uns vor Augen führen, ist eine weitere Aufgabe der Corpserziehung. Dass umgekehrt heute dem Corpsstudententum wie in der Vergangenheit vielfach mit Vorurteil und Unduldsamkeit begegnet wird, darf es nicht abhalten, bei seinem alten Grundsatze zu bleiben. Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich Unverständnis und Feindschaft gefallen lassen solle. Es ist des freien Mannes Recht und Pflicht, sich seiner Haut und seiner Überzeugung zu wehren.

Da soeben das Politische gestreift wurde, mag dazu nur kurz gesagt sein: Dass die Corps hier jedem ihrer Mitglieder seit jeher völlig freie Bahn gelassen haben (und auch in Zukunft lassen werden), weiß jeder, der unvoreingenommen corpsstudentische Listen durchsieht und dort die Vertreter aller politischen Anschauungen findet. Nur eins versteht sich von selbst, dass man ein guter Deutscher sei. Einer Satzungsbestimmung bedarf das nicht. Als wichtigstes Erziehungsmittel des Corps seien CC und Mensur genannt.

Worüber in allgemeiner Hinsicht der CC zu wachen hat, ist dargetan worden. Er hat auch über die Mensur zu wachen. Wir wissen das. Außenstehende wissen das vielfach nicht. Dass der Fechter nicht nur eben zu fechten hat, dass er neben der technischen, der sportlichen Seite in erster Linie Mut und Standhaftigkeit zu beweisen hat, dass er in dem Bewusstsein antritt, vor dem Urteil der Corpsbrüder bestehen, bei wiederholtem Versagen sogar aus dem lieb gewordenen Freundeskreis endgültig ausscheiden zu müssen, in all dem liegt das erzieherische Merkmal der Mensur; für den beurteilenden Corpsbruder aber darin, dass er den besten Freund nicht anders begutachten darf als den, dem er weniger nahe steht. Diese Gesichtspunkte sind von größter Bedeutung. Wer nie eine Mensur gesehen, geschweige denn eine gefochten, wer nie an einem Mensurconvent teilgenommen hat, der sollte sich des Urteils enthalten. Es mag sein, dass die Mensur vor 150 Jahren mehr sportlichen Charakter hatte als in ihrer späteren Gestaltung, es mag auch sein, dass sie sich wieder mehr in dieser Richtung entwickelt und dass ihre Beurteilung nicht nur eine schematische sein, sondern auch die körperliche und psychische Veranlagung des Fechters berücksichtigen sollte, der erzieherische Faktor muss immer das Wesentliche bleiben. Mit Entschiedenheit muss aber der Ansicht entgegengetreten werden, die Mensur sei nur ein Zweikampf mit anderen Waffen. Er und sie haben nichts miteinander zu tun. Es gibt zudem als sportlich angesehene Wettkämpfe, die weit gefährlicher sind als die mit dem studentischen Schläger. Wir wehren uns gegen Vorurteile auch auf diesem Gebiet!

Wenn hier auch hauptsächlich von den Aufgaben des aktiven Corps zu reden ist, so darf doch auch ein Wort über die Mitwirkung der Alten Herren angefügt werden, da die Gemeinschaft dieser mit ihren Corps seit vielen Jahrzehnten unzerbrechlich geworden ist. Von hoher Stelle ist vor einiger Zeit einmal gesagt worden, die Alten Herren sollten sich darauf beschränken, den Studenten Räume und Bücher zur Verfügung zu stellen. Nun, seit Corpshäuser gebaut worden sind, sind auch die Räume vorhanden. Soweit die Häuser im Krieg zerstört oder seit 1935/36 bzw. 1945 ihrem Zweck entfremdet wurden, sind sicher überall Ersatzräume geschaffen worden. Wer als Corpsstudent darüber hinaus etwas für die Allgemeinheit der Studenten leisten will, der tut das am besten als Mitglied des Studentenwerkes seiner Universität oder Hochschule.

Schon in der Vergangenheit hat es kein Corpshaus gegeben, das nicht eine eigene Corpsbücherei besaß. Wo sie verloren gegangen ist, sollte es allerdings Aufgabe der Alten Herren sein, sie neu einzurichten, aber nur nach den Wünschen der Aktiven. Auch unter den Bedingungen des Internets sind wohl 90 % aller gegenwärtigen Studenten kaum noch in der Lage, ihre Studienbücher zu kaufen, geschweige denn anderes. Was in eine solche Büchersammlung gehört, darüber mag man verschiedener Ansicht sein. Politisches und Historisches, Soziales und Wirtschaftliches, die Literatur der Vergangenheit und Gegenwart, Kunst- und Heimatpflege, Sportliches usw., damit jeder Aktive finden kann, was ihm liegt. Denn für den einzelnen ist es nicht wichtig, dass er alles, wohl aber, dass er etwas treibe, dies aber recht. Dazu soll eine solche Bücherei verhelfen.

Schon seit jeher hat es auf den Corpshäusern Vortragsabende, kulturelle Abende, Diskussionsabende oder wie man solche Einrichtungen nennen mag, gegeben. Das sollte von den Alten Herren gefördert werden, durch Besuch und, wenn notwendig, durch finanzielle Hilfe. Da mögen dann alle möglichen Persönlichkeiten sprechen: Dozenten aller Wissensgebiete, Politiker, Wirtschaftler und Alte Herren, die etwas zu sagen haben.

Die Lebensgemeinschaft des Bundes vom Jüngsten bis zum Ältesten verlangt ferner, dass den Alten Herren ein Beratungsrecht in allen grundsätzlichen Fragen des Corps gewahrt bleibt, wie es seit langen Jahrzehnten der Fall ist, ebenso wie das letzte Wort, das Entscheidungsrecht, stets dem CC allein verbleiben muss. Was da an allgemeinen Grundsätzen in Betracht kommt, ist hier dargelegt. Daneben hat jedes Corps nach altem Herkommen noch die eine oder andere eigene Tradition, die ebenfalls zum Grundsätzlichen gehört. Im übrigen aber sollen die AH das innere und tägliche Leben des Corps durch die Aktiven selbst gestalten lassen, der veränderten Zeit und den veränderten Anschauungen entsprechend. Dies sollte auch für die geselligen gemeinschaftlichen Veranstaltungen gelten, in denen das Recht der Jugend zur Ausspannung, zur Unterhaltung und Fröhlichkeit zum Ausdruck kommt.

Ältestes bewahrt mit Treue
Freundlich aufgefasstes Neue;

Mit der Beherzigung dieses Goethewortes können wir einem größeren Kreis an jugendlichen Bestrebungen Teilnehmender bezeigen, dass wir weder reaktionär noch bloß auf die alte Burschenherrlichkeit eingestellt sind und waren.

Das Corpsleben besteht aus guter, wohl bewährter Tradition, sagen wir ruhig, in manchem auch aus Convention auf der einen, aus der Freude am Neuen und dem Streben nach Erkenntnis auf der anderen Seite und drittens auf einer der Jugend gemäßen Fröhlichkeit, die kein Vernünftiger ihr absprechen wird. Man sollte ihr aber auch das Hängen am Alten nicht verwehren. Kurt Volkmann über den Sinn der Convention:

„Man kann einem Zwanzigjährigen nicht die Weisheit eines grauen Hauptes beibringen, man kann Dumme nicht klug machen, aber man kann einem reifenden Menschen Form geben. Haltung ist beim Jüngling wichtiger als Klugheit.“